Lesesaal

Hier können Sie die Geschichte der Ratsschulbibliothek nachlesen.


13. bis 14. Jahrhundert

Die Gründungsphase der Ratsschulbibliothek ist im Zusammenhang mit der Lateinschule der Stadt Zwickau zu sehen. Bereits im 13. Jh. wurde diese Schule als Stadtschule eröffnet. Ein genaues Gründungsdatum der Ratsschulbibliothek - so genannt, weil der Einfluss des Rates der Stadt auf die Geschicke der Schule unverkennbar war - ist nicht überliefert. Ein vor wenigen Jahren entdeckter Eintrag im Buchdeckel einer Inkunabel weist aus, dass dieses Buch am 17. Februar 1498 der Schulbibliothek übereignet wurde. Dieser Eintrag beweist, dass die Ratsschulbibliothek bereits vor 1500 existiert hat. In Anlehnung an die übliche Praxis im Umgang mit nicht exakt belegten historischen Ereignissen wird diese erste Erwähnung als Gründungsdatum der Bibliothek angesetzt. Da außerdem der damalige Rektor der Lateinschule, Petrus Plateanus, in seiner 1537 veröffentlichten Schulordnung die Ratsschulbibliothek als "bibliotheca publica" bezeichnet, ist sichergestellt, dass diese als älteste wissenschaftliche Bibliothek Sachsens gelten kann.

15. Jahrhundert

Ein Höhepunkt in der Frühgeschichte der Ratsschulbibliothek war die testamentarisch verfügte Übernahme der Privatbibliothek von Stephan Roth (1492-1546). Roth, der Rektor der Zwickauer Lateinschule war, zeitweise Schreiber bei Martin Luther in Wittenberg sowie später Oberstadtschreiber und Ratsherr in Zwickau, besaß etwa 6000 Bände, darunter viele Hochschulschriften, gedruckte Unikate und Musikalien. Dazu kamen rund 4000 an ihn adressierte Briefe. Gleichzeitig wurden durch die Säkularisierung weitere Bücher und Hochschulschriften in den Bestand der Ratsschulbibliothek eingegliedert. Durch den Umzug der Lateinschule in den Zwickauer Wirtschaftshof des säkularisierten Zisterzienserklosters Grünhain konnte diese bedeutende Schenkung in der zur Bibliothek umgebauten Kapelle untergebracht werden.

Gewölbe der Grünhainer Kapelle Durchgang der Grünhainer Kapelle


17. Jahrhundert

Der nächste nennenswerte Zuwachs erfolgte rund 150 Jahre später, als sich 1694 der Rat der Stadt zum Ankauf der Privatbibliothek des Polyhistors und Rektors Christian Daum (1612-1687) entschloss. Daums Bibliothek umfasste zu diesem Zeitpunkt etwa 7500 Bände. Seine Briefsammlung, die neben 6000 empfangenen Briefen auch die in Korrespondenzbüchern festgehaltenen abgesandten Schreiben enthält, gilt als bedeutender Beitrag zur Kenntnis der geisteswissenschaftlichen Welt des 17. Jahrhunderts. Seinem Nachlass verdankt die Ratsschulbibliothek auch einige Bände mit z.T. umfangreichen handschriftlichen Eintragungen Martin Luthers. Ein weiteres Verdienst von Daum bestand in seiner Sammelleidenschaft von gedruckten Gelegenheitsschriften (Leichenpredigten, Ordinationsschriften, Gratulatorien, Hochzeitsgedichte u.ä.). Dadurch gelangte die Ratsschulbibliothek in den Besitz einer der umfangreichsten Sammlungen dieser Art in Deutschland, die nach der bisherigen Hochrechnung fast 34.000 Stück umfassen dürfte. Zum gleichen Zeitpunkt gelangte auch die Büchersammlung des berühmten Orientalisten Johann Zechendorf (1580-1662), bis 1662 Vorgänger von Daum im Amt des Rektors am Zwickauer Gymnasium, als Nachlass in die Ratsschulbibliothek.

18. Jahrhundert

Im 18. Jahrhundert trat in der Bestandsvermehrung eine relative Ruhe ein. Die wenigen Mittel, die von der Stadt zur Erwerbung von Neuerscheinungen zur Verfügung gestellt wurden, ließen größere Bücherankäufe nicht zu. Dafür wurde erstmals die Katalogisierung des vorhandenen Bestandes in Angriff genommen, da die Benutzung der nun schon umfänglichen Bibliothek ohne bibliothekarische Hilfsmittel einen erheblichen Zeitaufwand erforderte. Mit dem Privatgelehrten Jeremias Crudelius aus Coswig gewann der Rat der Stadt 1736 einen Mann, der innerhalb von zwei Jahren einen Nominal-Katalog (AK), einen Real-Katalog (SK) und einen Manuskripten-Katalog (Verzeichnis der Hochschulschriften) erstellte.

19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert erfolgte wieder eine Reihe von Zugängen, nachdem die Bibliothek durch nachlässige Verwaltung einige z. T. unersetzliche Verluste erlitten hatte. Bürgermeister Tobias Hempel (1738-1820) überließ der Ratsschulbibliothek im Jahre 1820 testamentarisch 529 Bände wertvoller Ausgaben der antiken Klassiker. Als bedeutsam ist der Zugang des Nachlasses des Zwickauer Rektors Christian Clodius (1694-1778) einzuschätzen. Er war von 1740 bis 1778 Rektor der Lateinschule und Direktor der Bibliothek. Erst 1836 übergab sein Enkel, ein Leipziger Professor, dessen umfangreiche Bibliothek von über 5300 Bände. Schließlich überließ auch der Zwickauer Vizepräsident des Appellationsgerichts Eduard Flechsig (1802-1873) seine 2400 Bände zählende Bücherei der Ratsschulbibliothek. Bedeutsam an diesem Nachlass ist, dass er neben juristischen Schriften eine Vielzahl regionalhistorischer Veröffentlichungen enthielt und damit den Grundstock für die heute umfangreiche regionalkundliche Sammlung legte.

1815-1900

Im Jahre 1815 beschloss die Leitung des Gymnasiums die Gründung einer zweiten Bibliothek. Offenbar fand man den Bestand der Ratsschulbibliothek nicht praktikabel genug, die gymnasiale Ausbildung zu unterstützen. Die sogenannte Deutsche Schulbibliothek wurde sogar wesentlich mehr gefördert als die Ratsschulbibliothek. Diese Schulbibliothek, ab 1852 Schülerbibliothek genannt, wurde später auf die Lehrer- und Gymnasialbibliothek aufgeteilt, die entstanden, nachdem sich die Ratsschulbibliothek etwa im Jahre 1900 vom Gymnasium endgültig gelöst hatte. Diese Bestände (insgesamt etwa 25 000 Bände) wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zwar der Ratsschulbibliothek zugewiesen, konnten aber aus Platzgründen bisher weder aufgestellt noch katalogisiert werden, obwohl sich darunter wertvolle Literatur zur Pädagogik sowie eine etwa 50 000 Stück umfassende Schulschriftensammlung befindet.

1914

Wurmbefall

Mit den Zugängen des 19. Jahrhunderts entstanden beengte Verhältnisse, so dass die bibliothekarische Ordnung nicht mehr aufrechterhalten werden konnte. Zudem waren die klimatischen Verhältnisse im bisherigen Standort der Ratsschulbibliothek alles andere als optimal, so dass Teile des Bestandes in Gefahr gerieten, durch Einfluss von Feuchtigkeit, Wurmbefall u.ä. unwiederbringlich zerstört zu werden. Vor allem der 1885 neu gegründete Zwickauer Altertumsverein erkannte die historische und wissenschaftliche Bedeutung der in der Ratsschulbibliothek angesammelten Bestände. Er bewirkte eine erneute Katalogisierung, um ein anderen wissenschaftlichen Bibliotheken Sachsens vergleichbares Niveau zu erreichen. Der Rat der Stadt konnte und wollte sich dieser Forderung nicht verschließen und verpflichtete mit den Gymnasiallehrern Fabian und Beck, dem Pfarrer Buchwald und dem Kantor Vollhardt kompetente Personen, die bei der Durchsicht der Bestände wertvolle Funde zutage förderten, die bisher nicht verzeichnet waren. Die unvollständigen Bandkataloge wurden durch einen aktuellen und übersichtlichen Zettelkatalog (Nominal- und Standortkatalog) ersetzt, zu dessen Erarbeitung noch zusätzlich die Gymnasiallehrer Langer und Otto Clemen (1871-1946) gewonnen worden waren. Gleichzeitig bewirkte der Einfluss des Altertumsvereins auch, dass die Ratsschulbibliothek beim Bau eines neuen Zwickauer Museums eine neue Heimstatt erhielt. Mit der Einweihung des damaligen König-Albert-Museums (heute Städtisches Museum), dessen Ostflügel ausschließlich für die Unterbringung der Ratsschulbibliothek errichtet wurde, konnten alle Probleme vorerst gelöst werden. Am 1. Mai 1914 wurden die neuen Räume eröffnet und der Bibliotheksbetrieb aufgenommen.

Gebäudekomplex RSB, Stadtarchiv, Städtisches Museum Ratsschulbibliothek Eingang zur Ratsschulbibliothek


Erster Weltkrieg

Während des Ersten Weltkrieges gab es erhebliche Einschnitte bei der Mittelzuwendung und Benutzung. Nach dem Krieg wurde der Wunsch nach Errichtung einer sogenannten Volksbücherei immer dringlicher, so dass sich die Stadtverwaltung 1920 zur Gründung einer solchen Bibliothek entschloss. Dem Trend vieler Städte folgend, ihre bis dahin überwiegend wissenschaftlich geprägten Stadtbibliotheken den neuen Volksbüchereien anzuschließen, wollte auch Zwickau eine Vereinigung mit der Ratsschulbibliothek herbeiführen. Bereits 1922 wurde deutlich, dass eine Vermischung der Bestände dem besonderen und in Teilen unikalen Charakter der Ratsschulbibliothek widersprach. Dieser spezielle Bestand entsprach nicht einem breiten Bedürfnis nach Bildung und Unterhaltung und hätte durch die in den Volksbüchereien angestrebte freie Zugänglichkeit erheblichen Schaden genommen.

Zweiter Weltkrieg

Im Zusammenhang mit der damit wieder beschlossenen Bestandstrennung - die räumliche Trennung erfolgte erst 1939 durch den Auszug der Stadtbücherei - wurde Prof. Otto Clemen zum Direktor der Ratsschulbibliothek berufen. Trotz begrenzten Etats begann eine Phase intensiver wissenschaftlicher Durchforstung von Teilen des Bestandes. Clemen gilt noch heute als einer der besten Kenner des Reformationszeitalters sowie der Lutherschriften. Seine Aufmerksamkeit richtete sich deshalb auch fast ausschließlich auf die Auswertung der Drucke dieser Epoche. Als Clemen 1939 ausschied - er war gleichzeitig Honorarprofessor an der Universität Leipzig - hinterließ er ein Vermächtnis von etwa 500 Veröffentlichungen zur Reformationszeit, die sich im wesentlichen auf Quellen aus dem Bestand der Ratsschulbibliothek bezogen und den Ruf der Bibliothek als eines fast unikalen Bestandes zur Reformationsgeschichte in Sachsen verbreiteten. Sein Abschied und der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hatten zur Folge, dass die Ratsschulbibliothek dem Stadtarchiv angeschlossen wurde, das inzwischen die von der Stadtbücherei aufgegebenen Räume belegt hatte. Zur Sicherung wurden die wertvollsten Bestände während der Kriegsjahre in Safes der Zwickauer Banken und in sichere Gebäude der Zwickauer Umgebung eingelagert. Da auch das Museumsgebäude unversehrt geblieben ist, sind glücklicherweise kaum Verluste eingetreten. Ab 1950 wurde die Ratsschulbibliothek dem Städtischen Museum unterstellt und erst wieder 1963 zur selbständigen Einrichtung erklärt.

1980 bis heute

In den achtziger Jahren erfolgte die Erfassung und Beschreibung der Inkunabeln und der mittelalterlichen Hochschulschriften durch Mitarbeiter der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin. Einen bedeutenden Zugang erhielt die Bibliothek in dieser Zeit mit dem Vermächtnis des in Zwickau geborenen und in Lübeck verstorbenen Musikwissenschaftlers, Komponisten und Dirigenten Dr. Georg Göhler (1874-1954), der seiner Geburtsstadt zahlreiche Kompositionen, Musikalien u.ä. sowie einen umfangreichen Briefwechsel mit bedeutenden Persönlichkeiten seiner Zeit vererbte. Gegenwärtig wird die EDV-gestützte Neukatalogisierung des Gesamtbestandes begonnen. Damit verbunden sind eine Umstrukturierung von Bestandsgruppen, die Einbeziehung bisher noch nicht bearbeiteter Teile (z. B. Gymnasial- und Lehrerbibliothek) sowie der Anschluss an den Sächsischen Bibliotheksverbund.

Dr. Dietrich Nagel

Direktoren der Ratsschulbibliothek und ihre Amtszeit (Auswahl)